Kommentar
Das PJ in Aschaffenburg ist insgesamt sehr empfehlenswert, aber die Neurologie im Speziellen steht nochmals hervor. Das liegt an mehreren Faktoren die für Studierende wirklich wichtig sind und ich will diese hier etwas gegliedert zusammenfassen.
Ersteindruck:
Der erste Kontakt zum Personal ist überhaupt nicht so distanziert wie man es vielleicht aus anderen Abteilungen (vor allem an Universitäten) kennt. Niemand, angefangen bei Herrn Prof. Bähr, gibt einem als Studenten das Gefühl am Ende der Nahrungskette zu stehen.
Die erste Kontaktaufnahme mit Herrn Bähr vor dem Beginn des Tertials war sehr unkompliziert und ein Termin stand schnell fest. Man merkt bereits hier, dass man sich über PJ-Studenten freut. Im Gespräch spürt man schnell die ruhige und unaufgeregte hessische Art des Professors. Das trägt sich dementsprechend durch das gesamte Team, denn Oberärzte, wie auch Fach- und Assistenzärzte sind allesamt nett und hilfsbereit im Erstkontakt (und nicht nur dort). Man erhält bereits vor dem Tertial einige Infos zum Ablauf und ganz wichtig, auch über den inoffiziell ermöglichten Studientag.
Generelles zur neurologischen Klinik in Aschaffenburg:
Die ersten Tage erhält man einen guten Überblick über die Stationen, so dass man schonmal einen Eindruck über Größe der Abteilung erhält. Es fällt auf, dass Aschaffenburgs neurologische Abteilung keineswegs eine kleine Abteilung ist. Zwar gibt es (noch) keine mechanische Rekanalisation seitens der Radiologie, jedoch fährt Aschaffenburg bis zu ~40 neurologische Patientenbetten auf 2 Normalstationen, 10 Patientenbetten auf der Stroke Unit und zusätzlich die Patienten der neurologisch-neurochirugisch geführten Intensivstation (NITS). Zusätzlich decken die neurologischen Assistenzärzte die Notaufnahme ab.
Speziell die NITS kann man als Zugpferd der Aschaffenburger Neurologie bezeichnen, da es diese in dieser Form tatsächlich nur einmal in Bayern gibt. Das ist ein großes Plus.
Seid euch bewusst, dass Aschaffenburg ein wirklich großes Einzugsgebiet hat. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Aschaffenburgs Neurologie klein wäre, nur weil Aschaffenburg als Stadt nicht so groß ist wie andere Städte. Aber durch den Spessart gibt es kaum ein deutlich größeres Krankenhaus in ca. 30-40 km Umkreis. Das bietet euch ein wirklich breites neurologisches Spektrum. Die fehlende mechanische Rekanalisierung wird wohl relativ bald ebenfalls am Standort Aschaffenburg angeboten. Das wird es nochmals attraktiver machen. Natürlich fällt die Rekanalisierung nicht in das neurologische Tätigkeitsfeld, aber dennoch würden sich dadurch weitere Aspekte der neurologischen Behandlung auftun.
Ablauf und Organisation:
Als Student startet man zunächst auf der Normalstation (zum Zeitpunkt meines PJs waren dies die Stationen A02 und B02) und bleibt dort erstmal 1-2 Monate. Diese Zeit ist auch wirklich nötig, da man die neurologische Untersuchung erst einmal beherrschen lernen muss. Nicht nur die Durchführung der neurologischen Untersuchung ist komplex, sondern auch die Interpretation der Befunde. Demnach sind 1-2 Monate wirklich angebracht, aber erwartet nicht, dass ihr nach so kurzer Zeit Profis seid, denn einige Befunde sind selbst von Oberärzten ab und an unterschiedlich interpretiert. Zusätzlich lernt ihr auf der Station den Stationsalltag kennen (mehr dazu unten).
Im Anschluss an die Normalstation rotiert ihr auf die Stroke-Unit. Hier ist das Spektrum erwartungsgemäß nicht mehr so groß wie auf Normalstation, dafür gibt es hier eine sehr optimierte Struktur, da jeder Schlaganfallpatient strikt den Leitlinien entsprechend behandelt wird. Das ist nicht nur für die Patienten gut, sondern auch für die Lernkurve der Studenten. Man weiß schnell was bei den Patienten zu tun ist und kann sich so leichter einbringen.
Zu guter Letzt rotiert man in die Notaufnahme, was immer extrem anspruchsvoll ist, da man hier nun unter Aufsicht endlich selbst Diagnosen anhand des selbst erhobenen Untersuchungsbefundes stellen lernt. Tipp: macht euch vertraut mit Schlaganfällen und Schwindel (Amboss und hausinterne SOPs im Nexus zu beiden Themen sind sehr gut). Beides macht einen gigantischen Teil der Patienten in der Notaufnahme aus und es ist extrem wichtig und hilfreich, wenn ihr zwischen zentralem und peripherem Schwindel unterscheiden lernt. Kopfschmerzen und Krampfanfälle solltet ihr euch natürlich auch nochmal ansehen.
Ich persönlich bin nicht auf die NITS gegangen, hätte aber die Möglichkeit bekommen. Ich wollte erstmal die Grundlagen der Neurologie lernen und das PJ eben dafür nutzen.
Zu guter Letzt gibt es noch die Funktionsdiagnostik die ihr euch ansehen könnt. Dort könnt ihr Neurosonographie, EEG, NLG, EMG, etc. sehen und bekommt einiges erklärt. Ich habe auch diesen Teil zu Gunsten weitere Einsatztage in der ZNA verkürzt, da es doch sehr speziell ist und ich, wie bereits erwähnt, lieber mehr Untersuchungen und klinische Einschätzung der Patienten sehen wollte. Insgesamt ist das Tertial sehr gut organisiert, aber ihr könnt selbst sehr aktiv den Ablauf mitgestalten wenn euch ein bestimmter Einsatzort mehr oder weniger interessiert.
Stationsalltag:
Als PJ Student werdet ihr, soweit möglich, einem Assistenzarzt zugeteilt und erhaltet von diesem alle nötigen Infos und Einweisungen in das Patientenverwaltungssystem (Orbis). Die Assistenzärzte waren allesamt nett im Umgang und behandelten mich als Teil des Teams. Das hat natürlich direkt die Stimmung gesteigert.
Im Alltag seid ihr natürlich auch für Blutentnahmen mitverantwortlich, aber keine Angst, es gibt auf beiden Stationen und auch auf der Stroke-Unit einen Blutentnahmedienst. Dennoch gibt es natürlich immer auch BEs und Nadeln für die Studenten zu legen. Gehört halt dazu und ist auch wichtig das sicher zu beherrschen.
Der Alltag startet um 7:45 Uhr und man macht sich erstmal einen Überblick über die Geschehnisse der Nacht und ggf checkt man Befunde die am Vorabend noch fertiggestellt wurden. Danach gibt es ein kurzes Gespräch mit der Pflege um den groben Tagesplan (elektive Aufnahmen, Entlassungen, Untersuchungen, etc) zu besprechen. Ganz zu Beginn habt ihr noch keine eigenen Patienten, aber sobald ihr welche habt, macht man nach der Pflegebesprechung noch schnell einige dringende Anordnungen (diese dürft ihr unter Aufsicht selbst machen). Um 8:45 findet dann die Frühbesprechung statt. Hier trifft sich das gesamte Team im Demo-Raum der Radiologen und bespricht alle auffälligen Bildgebungen. Anfangs ist es echt schwierig da etwas zu verstehen, aber wenn es mal Klick gemacht hat, ist die Besprechung sehr lehrreich. Stellt euch die Frühbesprechung als den "missing link" der Neurologie vor: ihr habt einen Patienten der euch Symptome schildert auf der einen und euren Untersuchungsbefund auf der anderen Seite. Die Radio-Demo ist dann der Moment in dem die Bildgebung im Idealfall Symptome und erhobene Befunde verbindet. Sehr befriedigend also, wenn ihr beim Untersuchen des Patienten einen Verdacht habt und am nächsten Morgen in der Besprechung eure Verdachtsdiagnose bestätigt bekommt.
Nach der Besprechung gehts auf Station (oder vorher nochmal in den Aufenthaltsraum zur Kaffeemaschine ;) ). Die Visite beginnt um 10:00 Uhr. Neurologische Visiten können auch mal länger gehen. Das muss aber kein Nachteil sein. Nach der Visite werden noch die wichtigsten Anordnungen erledigt und dann gehts oft in kleinen Grüppchen in die Kantine. Danach Visiten ausarbeiten und dann ist auch schon bald der Tag geschafft.
Der Stroke-Alltag ist nochmal mehr durchgetaktet. Hier gibt es täglich Oberarztvisiten (auf Normalstation 2x pro Woche). Der Chef kommt pro Woche mehrmals auf Station, aber die Visiten sind nie anstrengend, da er sich wirklich auch Zeit für Erklärungen nimmt und keine Fangfragen stellt. Er will niemanden bloß stellen.
Der Alltag in der Notaufnahme ist eigentlich nicht vorhanden, da es ja keine geplanten Abläufe gibt. Manchmal ist viel los, manchmal gibt es Lehrläufe. Die kann man dann entweder nutzen um auf Station zu gehen, oder in andere Fachbereiche zu schnuppern.
Aufgaben als PJ'ler:
Wenn ihr euch engagiert präsentiert und wollt, könnt ihr hier unter Supervision der Assistenzärzte schnell eigene Patienten übernehmen. Ein Muss ist es jedoch nicht. Gern gesehen aber natürlich schon :)
Zusätzlich gibt es natürlich BEs, Nadeln legen (beides hält sich aber Dank des BE-Dienstes in Grenzen), körperliche Untersuchungen (lernt das auf jeden Fall, dass ist das A&O in der Neurologie!), Liquorpunktionen (nehmt jede mit, die ihr unter Anleitung/Aufsicht machen dürft!), diverse spezielle Untersuchungen (Demenztestung, Schellong-Testung, Hautbiopsien, GBS-Testung, UDPRS bei Parkinson, etc).
Habt auch bitte keine Angst Patienten in der Visite vorzustellen oder gar in der Frühbesprechung vorzustellen. Erstens müsst ihr das eh irgendwann können und zweitens lernt ihr so eure Gedanken zu den Patienten zu sortieren (sehr hilfreich für das mündliche Examen). Sehr selten habt ihr mal Hol- und Bringtätigkeiten zu erfüllen, aber natürlich kommt das auch mal vor. Manchmal muss man auch telefonisch externe Befunde anfordern, aber normalerweise macht das die Stationssekretärin.
Studientag:
Eigentlich gibt es den nicht mehr, aber in Aschaffenburg wird der von den meisten Abteilungen noch inoffiziell und in Absprache mit den Chef- und den Oberärzten angeboten. Hierzu zählt auch die Neurologie.
Vergütung:
Das Klinikum Aschaffenburg bietet den PJ'lern kostenloses Essen, vergünstigtes Parken (sofern man mit dem Auto kommt/kommen muss) und man erhält die üblichen 400€. Zusätzlich gibt es noch Wohn- und Fahrtgeld wenn man zu Miete wohnt und länger anreisen muss. Insgesamt erhält man so ca. 600€.
Fortbildungen und PJ-Unterricht:
Die Assistenzärzte erhalten einmal pro Woche eine Elekrophysio-Fortbildung an der man teilnehmen soll. Die sind immer sehr lehrreich, aber man muss schon aufpassen, da Neurophysio ziemlich speziell ist. Leider ist diese Fortbildung direkt nach dem Mittagessen, was bei ausgeprägter postprandialer Müdigkeit durchaus eine Herausforderung darstellt :)
Zusätzlich gibt es für PJ'ler einmal wöchentlich einen Kurs der entweder direkt am Patienten gehalten wird, oder im Kaffee-Raum stattfindet. Inhaltlich ist es stets informativ und gehalten wird jede durch einen der Oberärzte. Dieser PJ-Unterricht fand eigentlich immer statt.
Hierarchie:
In der Abteilung ist die Hierarchie eher als flach anzusehen. Man behandelt sich respektvoll und viele sind untereinander per Du. Die meisten Oberärzte bieten ebenfalls das Du an.
Prof. Bähr ist immer nett, respektvoll und nimmt sich für Studenten jede Menge Zeit in den Visiten. Natürlich stellt auch er gerne Fragen an Studenten, aber er bringt einen nie an den Punkt an dem man das Gefühl hat mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Man merkt das er niemanden vorführen, sondern teaching machen möchte. Wenn ihr bei Herrn Bähr punkten wollt, macht euch schnell zu Beginn des Tertials mit der Bildgebung in der Neurologie vertraut. Zwar erwartet er das nicht von Studenten, doch wenn ihr FLAIR, DWI und andere MRT-Sequenzen erkennen und am PC aufrufen könnt, werdet ihr ihn bestimmt positiv überraschen. Ach, und habt immer die Sekundärprophylaxe der Schlaganfallpatienten im Auge. Das ist nicht nur wichtig, sondern fällt dem Chef ebenfalls positiv auf ;)
Nachteile:
Die oben aufgeführten Punkte sind ja allesamt als sehr positiv zu bezeichnen, daher wollte ich auch ein paar Nachteile aufzählen, aber es gibt keine offensichtlichen. Natürlich ist das Krankenhaus vergleichsweise abgelegen und nicht gerade einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, aber dafür kann ja die Neurologie nichts.
Fazit:
Ich habe das Tertial richtig genossen. Das Team ist vom Chef über die Oberärzte bis hin zu den Fach- und Assistenzärzten wirklich nett und hilfsbereit und die Lernkurve sehr steil. Wenn euch Neurologie interessiert und ihr ein kleineres Krankenhaus (im Vergleich zu Universitäten) mit dennoch großem Krankheitsspektrum wollt, dann ist die Neuro in Aschaffenburg echt perfekt. Das Aschaffenburg so viele Freizeitmöglichkeiten (viel Wald, der Main, gutes Bier in zahlreichen Kneipen, viele Festivals im Sommer, schöne Innenstadt) bietet, sollte auch für ortsfremde Studenten den Standort nochmal attraktiver machen.
Team & Struktur
Weiterbildungsqualität
PJ
Verdienstmöglichkeiten
Freizeit
Arbeitsbedingungen & Atmosphäre
Beruf & Familie
Führungskultur
Wissenschaft
Weiterentwicklung
Fortbildungen
Erstellt am
18.11.2022