Corona-Krise: Leidet Klinikpersonal gerade unter Langeweile?

„Schämt Euch!“: Krankenschwester widerspricht Langweile-Vorwurf

In den Krankenhäusern wurden planbare Eingriffe verschoben, um auf den großen Ansturm an COVID-19 Patienten gewappnet zu sein. Dieser war jedoch geringer als erwartet. Zusätzlich wurden alle planbaren Eingriffe verschoben und viele Patienten meiden den Klinikbesuch wegen einer möglichen Infektionsgefahr. Stationen und Betten sind leer und schon wird dem Klinikpersonal vorgeworfen, Langeweile käme auf.

Aus Berlin erreicht uns dazu ein eindringliches Statement von Tanja, Krankenschwester in einer großen Berliner Klinik:

„Was ist eigentlich los mit Euch da draußen? Jahrelang interessiert Ihr Euch keinen Meter für die Zustände in deutschen Krankenhäusern. Ein immer maroderes, rein auf Profit getrimmtes Gesundheitssystem, das uns, Ärztinnen, Ärzte, Schwestern und Pfleger immer schneller verbrannte, ging Euch sonstwo vorbei. Und dann: Dann waren wir für einige Tage kurz Eure Helden. Wurden von derselben Politik publikumswirksam gelobt, die zuvor über 100.000 Krankenhausbetten wegrationalisierte und die nun händeringend Pflegepersonal im Ausland sucht. Weil schlicht niemand mehr unseren Job machen möchte!

Ihr habt uns beklatscht auf abendlichen Balkonen, mitfühlende Facebook-Posts und bunte Instagram-Bildchen geteilt. All das beseitigt übrigens nicht den massiven Personalmangel in deutschen Krankenhäusern. Das zahlt auch nicht meine Miete. Auch wenn es sicher lieb gemeint war. Und dann, aufgrund einiger haarsträubender Medienmeldungen, müssen wir uns von heute auf morgen mit idiotischen Vorwürfen konfrontiert sehen: Wir würden eine ruhige Kugel schieben. Kurzarbeit sei in vielen Krankenhäusern angesagt, wir hätten Langweile…

Mal ganz simpel gefragt: Geht’s noch? Seid Ihr eigentlich noch fähig, selbst zu denken? Weil eine private Schönheitsklinik gerade aus nahe liegenden Gründen keine Beauty-OP’s vornimmt und ihre Angestellten in Kurzarbeit schickt, übertragt Ihr das auf über 1200 deutsche Krankenhäuser? Es ist übrigens richtig, dass wir hier in den Berliner Krankenhäusern gerade bis zu 20% weniger Patienten versorgen, als zu anderen Zeiten. Aber glaubt mir eines: Währt Ihr einer dieser Patienten, Ihr würdet Euch glücklich schätzen! Denn zum ersten Mal seit Jahren haben wir Ärzte, Schwestern und Pfleger punktuell die Chance, uns angemessen um Patienten zu kümmern. Und das übrigens auch nur, weil wir gerade sehr viele planbare Eingriffe und Operationen verschieben. Aus nur einem Grund: Um für Euch da sein zu können. Um einer möglichen Verschlimmerung der Pandemie gewachsen zu sein.

Und noch ein Punkt, der vielen von Euch nicht klar ist. All das könnte nicht nur unsere Arbeitsplätze kosten, es könnte sogar zur Schließung vieler weiterer Kliniken führen.
Denn durch den Profitzwang der Kliniken in unserem Gesundheitssystem, schreibt aktuell jede Klinik, die für Euch Betten freihält, massive Verluste. In den letzten Jahren mussten etliche deutsche Klinken insolvent schließen und waren damit nicht mehr Teil eines ehemals flächendeckenden Versorgungssystems, das im Notfall für Euch da wäre.

Abschließend ein kleiner Appell: Wir hier in Berlin rennen genauso viel wie immer. Sind oft schweißgebadet und sinken abends erschöpft ins Bett. Viele von uns sind bereits infiziert und in Quarantäne. Wir sind unterversorgt mit Material, ja wir bitten sogar die Bevölkerung, Masken für uns zu nähen. Wir wissen genauso wenig wir Ihr, was die möglichen Spätfolgen des Virus sind. Klar ist: Wir hier an der „Front“ werden uns alle infizieren. Und trotzdem gehen wir jeden Tag wieder ins Krankenhaus und machen unsere Arbeit so gut wir können. Fast ALLE von uns haben sich diesen Job bewusst ausgesucht. Wir helfen Menschen. Wir helfen Euren Familienangehörigen, Euren Freunden und wir helfen Euch. Und: Ihr helft uns ganz sicher nicht, wenn Ihr Fake News glaubt oder diese gar verbreitet!

Tanja, Krankenschwester in Berlin

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